So ließe sich auf den ersten Blick das Schreiben der Fraktion der ethnischen Minderheiten im rumänischen Parlament vom 3. September an die Premierministerin Vasilica Dăncilă (PSD Sozialdemokratische Partei) auch verstehen: Der Vertreter der Minderheitenfraktion, Varujan Pambuccian (Armenier), verlangt von Dăncilă die Entlassung ihres Beraters Darius Vâlcov, der als rechte Hand von Liviu Dragnea gilt, des vorbestraften Vorsitzenden der amtierenden Sozialdemokraten und eigentlicher Strippenzieher der Regierung. Vâlcov hatte am 2. September 2018 auf seiner facebook Seite das Logo der Deutschen Minderheitenvertretung durch ein Hakenkreuz ersetzt bzw. den deutschstämmigen Präsidenten Rumäniens, Klaus Johannis, mit Hitlerbart gezeigt. (Inzwischen wurde der Post gelöscht.)
Die Minderheitenfraktion beklagt in ihrem Schreiben die wiederholten Verunglimpfungen der deutschen Minderheit und verlangt eine öffentliche Distanzierung der Premierministerin von solchen Stellungnahmen. Bisher hat diese ihr jedoch nicht Folge geleistet.
Der Vorsitzende der jüdischen Minderheit Aurel Vainer hatte seinerseits am 3. September Vâlcov ebenfalls scharf kritisiert und demgegenüber auf die Verdienste von Klaus Johannis im Kampf gegen Antisemitismus und Xenophobie sowie auf seinen Einsatz für „Verständnis und Freundschaft zwischen den Gruppen des rumänischen Volkes“ hingewiesen.
Kritik an den aktuellen Diffamierungen der Deutschen Minderheit in Rumänien kommt inzwischen auch auf von Gunther Krichbaum , Vorsitzender des Europaausschusses im Deutschen Bundestag, der davon die Rumänische-Deutschen-Beziehungen betroffen sowie die anstehende Übernahme der EU-Rats-Präsidentschaft durch Rumänien ab 2019 gefährdet sieht. Dabei reiht Krichbaum die Äußerungen des Staatssekretärs Vâlcovs in eine Reihe mit den laufenden und aktuellen demokratiegefährdenden Maßnahmen der amtierenden PSD- Regierung und nennt u.a. die Amtsenthebung der Antikorruptionschefin Laura Codruța Kövesi diesen Sommer sowie den geplanten Umbau des rumänischen Justizsystems, der de facto die Abschaffung der Gewaltenteilung bedeuten würde. Bereits im Winter hatte sich Krichbaum gegen die Aufhebung des EU-Kooperations- und Prüfverfahrens ausgesprochen, da Rumänien im Bereich Justiz noch erhebliche Mängel aufweise. Die jetzige Eskalation bestätigt offenbar diese Einschätzung.
Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien DFDR – F.D.G.R. selbst hatte zunächst, vertreten durch ihren Vorsitzenden Jürgen Porr, Vâlcovs facebook-Interventionen als jämmerlich zurückgewiesen und ebenfalls eine Distanzierung von solchen Äußerung von Premier Dăncilă und dem PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea gefordert . Mittlerweile behält man sich vor, sich auf der Basis des Rumänisch-Deutschen-Vertrags an die Bundesrepublik zu wenden und eine Stellungnahme zu ersuchen. Bislang hat sich von bundesdeutscher Seite der Regierungsbeauftragte für Aussiedlerfragen und Nationale Minderheiten, Bernd Fabritius, geäußert und die Aussagen Vâlcovs als inakzeptabel abgewiesen.
Es ist kein Einzelfall, dass der deutschstämmige Präsident Rumäniens oder die deutsche Minderheitenorganisation DFDR Zielscheibe von nationalistischen und xenophoben Beleidigungen durch Vertreter*innen der aktuellen Regierung werden. Sie befeuern Verschwörungstheorien und Verleumdungskampagnen, wie sie auch schon 2014 zu Wahlkampfzeiten im Umlauf waren, sowohl in den sozialen Medien wie in den regierungsnahen Fernsehsendern (BT TV, Antena 3 etc.) – Dabei ist die Mitteilung über die gerichtliche Verurteilung der Zeitung COTIDIANUL und des Fernsehsenders BT TV u.a. wegen Verunglimpfung aus dem Jahr 2017 durch den Nationalen Aufsichtsrat der Medien/ Consiliu National al Audiovizualului im Frühsommer 2018 an das DFDR ergangen, wie uns Jürgen Porr, der Vorsitzende des DFDR in einem Interview mit #rezistzurich am 11.7.2018 in Sibiu/ Hermannstadt berichtete: Die beiden Medien seien zu der rechtlich höchstmöglichen Strafzahlung verurteilt worden. In seinem Statement vom 11. Juli appellierte Jürgen Porr außerdem an die Diaspora-Rumän*innen, sich genau zu informieren, was im Land geschehe, und an die Europäische Union, alle rechtlichen Mittel für die Erhaltung des Rechtsstaates in Rumänien einzusetzen.
Mit der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstration der Diasporarumän*innen an der Seite der Inlandsrumän*innen in Bukarest durch die Ordnungskräfte am 10. August ist nun ein Fall eingetreten, den weder Jürgen Porr noch die rumänische Zivilgesellschaft sich hätten träumen wollen, dabei ließ der Erfolg der Kampagne FĂRĂ PENALI zu diesem Zeitpunkt sehr auf Wandel hoffen.
Drei Wochen später sind mehr als 450 Verletzte nach dem Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Kampfgas zu beklagen, und es ist immer noch nicht klar, wer den Befehl für das brutale Vorgehen gegeben hat, wer zur Verantwortung gezogen werden muss.
Zudem hat am 4. September das Parlament kurzerhand beschlossen, die Anhörung der Innenministerin Carmen Dan und Speranța Clișeru, der Bukarester Präfektin, beides PSD-Politikerinnen, sowie die Leitungsriege der Bukarester Jandarmerie, die den Einsatz durchgeführt hat, bis auf Weiteres auszusetzen.
Die rumänische Zivilgesellschaft, sehr aktiv auch in den sozialen Medien, kommuniziert und versammelt sich unter hashtags wie Gruppierungen gleichen Namens #InitiativaTimișoara, #rezist, #VăVedem , #Corupția Ucide, #UmbrelaAnticorupțieCluj, #rezistența usw… Viele Akteur*innen sind sich mittlerweile einig, dass allein die Protestaktionen in Rumänien selbst nicht wirkungsvoll genug sind. Die Proteste vom 10. August hatten Diaspora- mit Inlandsrumän*innen in allen rumänischen Großstädten erstmals in großem Umfang vereinigt, zeitgleich wird der Ruf nach politischer Intervention auf europäischer Ebene immer stärker – auch aus der Angst vieler Rumän*innen heraus, dass Rumänien sich von der EU und der NATO immer mehr entferne und zu neuer – alter Geschwisterschaft mit Russland abdrifte. Eine der aktuellen Initiativen, die Paul Milata bereits 2017 gestartet hat, setzt sich ein für den Ausschluss der rumänischen sozialdemokratischen Partei PSD aus der sozialdemokratischen Fraktion der EU. Vertreter*innen der rumänischen Protestbewegung im Ausland konnten diesbezüglich in Gesprächen mit sozialdemokratischen Vertreter*innen Schwedens, der Schweiz und Portugals erreichen, dass ein Ausschlussverfahren bei der nächsten Sitzung auf die Tagesordnung kommt.
Dem deutschen SPD-Außenminister Heiko Maas gegenüber hatte sein rumänischer Kollege Teodor Meleșcanu vor zwei Wochen noch versichern können, dass Rumänien jegliche Herabsetzung der deutschen Minderheit ablehne , habe sie doch vor genau 100 Jahren nach dem 1. WK doch wesentlich zur Entstehung des rumänischen Nationalstaates in seiner auch heute noch gültigen territorialen Ausdehnung beigetragen: durch ihre Proabstimmung der Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Rumäniens.
Meleșcanu hatte sich zu diesem Lob genötigt gesehen, nachdem die amtierende PSD-Arbeitsministerin Lia Olguța Vasilescu Mitte August die deutsche Herkunft des Präsidenten Klaus Johannis als faschistisch ausgedeutet hatte: Johannis hatte den Einsatz von Tränengas gegen die Demonstrant*innen am 10. August aufs Schärfste kritisiert, wozu er das im Rumänischen gebräuchliche Wort GAZARE (lies: gasare) benutzte. Vasilescu wiederum verbat sich die Kritik am Vergasen mit dem Hinweis auf Johannis‘ (deutsche) Herkunft.
Dass einerseits eine politische Wertschätzung der Deutschen in Rumänien vornehmlich auf dieser Wahlentscheidung von 1918 beruhen soll und andererseits die faschistische Vergangenheit der deutschen Minderheit (zu deren Erforschung nach wie vor wissenschaftliche wie literarische Textprojekte erscheinen) immer wieder in unredlicher Weise mit deren gegenwärtigen, politisch nicht genehmen Akteuren verbunden wird, um sie zu diskreditieren, verrät die Strategie der PSD: um eigene Versäumnisse in der Tagespolitik abzublenden ( z.B. Ausbreitung der Schweinepest, Zusammenbruch des Gesundheitssystems, baldige Zahlungsunfähigkeit der staatlichen Kasse) bzw. um von dem tatsächlichen Hergang am 10. August und der möglichen eigenen Verantwortung für die mehr als 450 Verletzten abzulenken, werden Scheingefechte gegen „Hail Johannis“ (Vâlcov auf facebook) geführt.
Das DFDR hat von Beginn an die Bürgerinitiative FĂRĂ PENALI ÎN FUNCȚII PUBLICE der Oppositionspartei USR unterstützt. In Sibiu, dem ehemaligen Wahlkreis von Klaus Johannis, nahm die DFDR-Bürgermeisterin Astrid Fodor 20.000 Unterstützungsunterschriften zwecks Validierung entgegen, wohingegen andernorts einige PSD-Bürgermeister*innen die Unterschriften nicht annehmen wollen oder ihre Überbringer gar tätlich angreifen. Es ist daher nicht abwegig, die sich verschärfenden Angriffe auf die Organisation der deutschen Minderheit sowie auf den deutschstämmigen, liberalen Präsidenten Klaus Johannis proportional zum zunehmenden Erfolg der FĂRĂ PENALI-Initiative zu sehen. Das DFDR erwägt inzwischen rechtliche Schritte gegen Vâlcov. Das muss es auch, auch weil Vâlcovs Ausfälle sich nicht nur gegen eine Minderheit oder die Minderheiten überhaupt richten, sondern gegen jeglichen Anstand, gegen die Freiheit aller anderen, unser aller Freiheit. #neamtztoo.
Photo Credit G4 Media. Im Bild zu sehen sind Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und der rumänische Präsident Klaus Iohannis