Die Justiz zu diskreditieren bedeutet, den Rechtsstaat abschaffen zu wollen.
Daniela Boltres, Osnabrück
22. Juni 2018
Diese Woche wurden zwei führende PSD-Politiker Rumäniens verurteilt: Der ehemalige Transport-Minister Dan Șova rechtskräftig zu drei Jahren Haft, der amtierende PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea, bereits wegen Wahlbetrug vorbestraft, zu einer Haftstrafe von 3einhalb Jahren – der Straftatbestand lautet: Anstiftung für Machtmissbrauch – wobei hier das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Die Reaktionen führender PSD-Politker*innen in der aktuellen Regierung, unter anderem der Premierministerin, des Justizministers, der Innenministerin, auf Dragneas Verurteilung, entlarven die PSD-Position gegenüber dem Rechtsstaat: Sie werfen den Richter*innen vor, nicht rechtmäßig gehandelt zu haben, ohne dass bisher die Urteilsbegründung überhaupt veröffentlicht worden wäre. Außerdem plant das Justizministerium seit heute etwa ein Drittel der Staatsanwälte und Richter frühzuverrenten.
Dragneas Verurteilung wird von den Oppositionsparteien und den Protestbewegungen innerhalb und außerhalb Rumäniens begrüßt.
Aus der Fülle internationaler Reaktionen sticht besonders die portugiesische sozialdemokratische Abgeordnete Ana Gomes hervor: Sie zeigt sich in einer ersten Stellungnahme wenig verwundert über Dragneas Verurteilung, beklagt aber, dass Dragnea nicht für die weitreichenderen Delikte wie Veruntreuung von EU-Geldern oder von Geldwäsche in Brasilien belangt worden sei. Die europäischen Sozialdemokraten hätten eine Verantwortung, die sie nun auch mehrheitlich endlich wahrnehmen sollten: indem sie die rumänische PSD ausschließen.
Neben den Demonstrant*innen und Aktivist*innen der Zivilgesellschaft, die sich in Protestbewegungen wie #corupțiaucide und #rezist, den Oppositionsparteien Uniunea Salvați România oder neu die Mișcarea România Împreună versammeln, gehören zu ihren wichtigsten Gegenspielern vor allem die Staatsanwält*innen, die, trotz ungebremster Defaimierungen in den regierungs- und PSD-nahen Medien, schlicht ihren Job machen, wie die Leiterin der Antikorruptionsbehörde Laura Codruța-Kövesi nicht müde wird zu betonen.
Letzte Woche haben die von der PSD eingesetzten Verfassungsrichter die Abberufung Laura Codruța-Kövesis beschlossen. In einem nächsten formalrechtlichen Schritt ist es am Präsidenten Klaus Iohannis, sie auch tatsächlich abzuberufen, wodurch die Antikorruptionsbehörde entscheidend geschwächt würde. Mit einer PSD-nominalisierten Nachfolge wäre zu rechnen. Mit seiner Nicht-Entscheidung, seinem strategischen Schweigen darüber, macht Klaus Iohannis in diesen Tagen der rumänischen Präsidialdemokratie alle Ehre.
Der schweigende Präsident Rumäniens, wie ihn einige Protestierende ungehalten nennen, steht jedoch derzeit selber im Kreuzfeuer: Rumänische Politbeobachter*innen rechnen schon sehr bald mit einem Amtsenthebungsverfahren, das eine Lawine der Besetzung weiterer Schlüsselpositionen durch die PSD und ihren Koalitionspartner ALDE auslösen würde. Aber so weit wird es gar nicht kommen, wie sich die Protestierenden gegenseitig, dem Präsidenten selbst sowie der PSD in den sozialen Medien, in der Presse, in Sprechchören vor dem PSD/ ALDE-dominierten Parlament und den regionalen Parteifilialen beharrlich versichern. Mit einer Ausnahme: In Sibiu/ Hermannstadt wird seit einem halben Jahr vor dem Sitz der PSD-Kreisfiliale am Huet-Platz stumm protestiert. Täglich eine Viertelstunde. Von 12 bis Viertel nach 12. Unter dem Slogan: #văvedem/#wirseheneuch.
In diese nachdenkliche Stille hinein, aber auch gegenüber den Protestchören und den unermüdlich argumentierenden Unterschriftensammler*innen der #fărăpenaliînfuncțiipublice-Aktivist*innen (Keine Vorbestraften in öffentlichen Ämtern!) wirkt Dragneas Presseerklärung heute, nach dem außerordentlichen Parteitag der PSD, die ihm einen Tag nach seiner Verurteilung erneut Gefolgschaft zugesichert hat, nicht nur schrill, sondern provokativ-bedrohlich: “Wir werden viel entschiedener vorgehen und viel radikaler sein”. Und explizit, an Klaus Iohannis, den Präsidenten, an Laura Codruța-Kövesi, die Chefin der Antikorruptionsbehörde, an Eduard Hellvig (Chef des rumänischen Nachrichtendienstes) und überhaupt an alle gerichtet: Er fürchte sie alle nicht.
Es ist damit zu rechnen, dass die Regierung per Eilverordnung den Straftatbestand des Amtsmissbrauches, für den Dragnea gestern verurteilt worden ist, für obsolet erklären wird.
Einer der bedeutendsten politischen Kommentatoren Dan Tăpălagă zeichnet im Angesicht dieser Aussagen ein düsteres Bild: “Hiermit hat die Mafia hat dem Staat den Krieg erklärt”/ Mafia a declarat războiul Statului. Was sagt die rumänische Gesellschaft, was sagt Europa dazu?