… und Europa braucht Rumänien. Rumänien bewacht die EU-Außengrenze und ist auch NATO-Grenze nach Osten und Nordosten hin.
Rumänien heute am 20.6.2018. Menschen in ganz Rumänien protestieren gegen die jüngsten Änderungen des Strafrechtes, die ein höriges Parlament vergangene Nacht erlassen hat. Profitieren werden davon all jene Politiker*innen, die wegen Wahlbetrugs, Bestechung, Vorteilnahme und ähnlichem nach bisherigen Strafrechtsverständnis belangt werden können.
All das geschieht einen Tag vor der Urteilsverkündung Dragneas, des bereits wegen Wahlbetrugs vorbestraften Vorsitzenden der rumänischen Sozialdemokraten, Vorsitzender der amtierenden Regierungspartei PSD, die immer noch Mitglied in der europäischen sozialdemokratischen Allianz ist.
Presse- und Medienleute dokumentieren auch den heutigen Protest. Sie sind vor Ort, in Cluj, Sibiu, Oradea, Brasov und natürlich Bukarest. Hier fährt die Polizei, genannt JANDARMERIA, besonders schweres Geschütz auf. Sie bedrängt die Protestierenden, setzt schließlich im Verlaufe des Abends Tränengas ein. Das Ganze kulminiert in der zielgerichteten Attacke gegen den deutschen Journalisten Paul Arne Wagner, Mitarbeiter u.a. der Süddeutschen Zeitung und Inhaber der Produktionsfirma Passport Productions. Live-Videoaufnahmen zeigen, wie Wagner von ca. 6 Polizisten in einen Einsatzwagen verfrachtet wird. Die Aktion kam so unvermutet wie zielgerichtet. Lange war sein Verbleib unbekannt. Inzwischen wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt.
Rumänische Kommentator*innen sehen darin einen Racheakt gegen Wagner, der selber fließend rumänisch spricht und schreibt und vor 2 Monaten eine rumänische Doku über den PSD-Vorsitzenden Dragnea gedreht hat: in dessen Herkunfts- und Wahlkreis Teleorman. Unter dem Titel“ Aici nu-l avem decât pe Dragnea“/ „Hier haben wir sonst keinen außer Dragnea“ präsentiert Wagner einen Film, mit dem er vor dem hochgefährlichen Dragnea-System warnen will, das droht, ganz Rumänien zu beherrschen, wie im Kreis Teleorman bereits realisiert: Dragneas Leute, ob Familienangehörige oder Freunde, beherrschen sowohl die öffentliche Verwaltung wie den privaten Wirtschaftssektor, der von der öffentlichen Verwaltung bevorzugt wird, und deren Vorgehen und Vergehen von einer ebenso voreingenommen Polizei nicht belangt werden. Und doch will Wagner optimistisch enden. Seine Diagnose lautet: ein solch seelenloses, auf Sand gebautes Kartenhaus muss notgedrungen irgendwann zusammenfallen. Es scheint dieser Optimismus zu sein, der die der PSD-Innenministerin Carmen Dan direkt unterstellte Polizei bewogen hat, derart brutal vorzugehen und damit international und national geltendes Recht auf Pressefreiheit schlicht zu ignorieren. Wohl um ein Zeichen der Stärke setzen.
Wagners Festsetzung geschieht im Kontext der aktuellen innerrumänischen Auseinandersetzung, die mal offensichtlicher, mal verborgener verläuft: Gehört Rumänien zur EU oder zum Einflussbereich Russlands? Herrscht in Rumänien Pressefreiheit oder haben wir (bald) türkische Zustände? Regierungsnahe Medien, und die öffentlich-rechtlichen berichten ebenfalls schon längst linientreu, verunglimpfen die Demonstrant*innen, überziehen politische Gegner*innen, wie den Landespräsidenten Klaus Johannis, aber auch Rechtsvertreter*innen wie den Generalstaatsanwalt Augustin Lazar oder die Leiterin der Antikorruptionsbehörde Laura Codruta-Kövesi mit Rufmordkampagnen und falschen Anschuldigungen.
Zugespitzt formuliert, geht es um die Frage: Werden sich in Rumänien die prorussischen Strömungen durchsetzen, die von der amtierenden Regierungspartei PSD und ihren Koalitionspartnern ALDE sowie einer Reihe gesellschaftlicher Akteure, wie der konservativen, orthodox-christlichen Allianz für die Familie, verkörpert werden?
Oder werden sich jene Menschen durchsetzen, die Rumänien zu Europa und der EU (und der Nato) zugehörig wissen? Dazu gehören einmal zivilgesellschaftlich aktive Gruppen in Rumänien (#rezist und Coruptia ucide) und im Ausland die sog. Diaspora-Rumän*innen (#rezistzuerich, milano, londra u.a.). Aber auch politische Akteur*innen – wie die USR Uniunea Salvati Romania/ Union zur Rettung Rumäniens oder die Miscarea Romania Impreuna/ Bewegung gemeinsam für Rumänien – berufen sich in ihrem Einsatz für den rumänischen Rechtsstaat auf europäische Werte und Strukturen. Diese Menschen und Gruppierungen stehen für ein demokratisches System ein und wollen die rumänische Gesellschaft als Gemeinwesen aller ihrer Mitglieder auffassen.
Rumänien braucht Europa. Die rumänische Zivilgesellschaft braucht mehr denn je die Unterstützung Europas, ihrer Bürger*innen und ihrer politischen Akteur*innen: Durch die aufmerksame Wahrnehmung und Verbreitung der Entwicklungen in Rumänien; mit eindeutigen Statements und unter Ausschöpfung aller EU- (und Nato-) rechtlichen Mittel. Denn auch Europa braucht Rumänien.
Daniela Boltres
Daniela Boltres ist Lyrikerin (Deutsch, Rumänisch und Siebenbürgisch-Sächsisch) und #Sprachaktivistin. Gebürtig in Rumänien, lebt sie derzeit in Deutschland, in Osnabrück und ist Mitglied unseres Vereins Rezist Zürich.
Das Titelfoto erhielten wir via Manases Sandor von Inquam Photos.